Onkel Erich.

Humoreske von Paul Bliß.
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 19.05.1895


Herr Erich Wolf ist der glücklichste Mensch von der Welt. Er ist zufrieden mit seinem Schicksal.

Er hat auch nicht den geringsten Grund unzufrieden zu sein, denn die Göttin auf der rollenden Kugel hat ihn reich mit Glücksgütern gesegnet.

Er ist Rentier, nicht nur, sondern auch — d. h. er ist ein reicher Rentier. Er ist nicht verheirathet, weil er immer die Ruhe geliebt hat. Und er hat eine Wirthschafterin, die für ihn das höchste Glück bedeutet, denn sie kann kochen! — kochen! — Worte können diese Kunst nicht schildern. Und wenn man weiß, daß Herrn Erich Wolf die Hauptsache im Leben ein guter Bissen ist, dann wird man ermessen können, wie hoch er dies Juwel einer Wirthschafterin hält.

Also Herr Erich Wolf ist ein zufriedener Mensch. Er lebt ruhig und für sich allein; alle Sonntag nur sind seine drei Neffen bei ihm zu Gast. Das sind drei lustige junge Leute, Waisen, die dereinst ihren geliebten Onkel Erich beerben werden.

*           *           *

Ein solcher Sonntag ist heute. Die drei Neffen haben beim Onkel Erich gegessen, und Alle, der Onkel mit den Neffen, haben in den Genüssen eines opulenten Diners geschwelgt. Nach dem Essen haben sich die drei jungen Herren verabschiedet, weil sie mit ihrem Klub eine Partie machen wollten. Und Onkel Erich ist allein geblieben und hat sich auf ein Ruhebett lang ausgestreckt, um noch in der Rückerinnerung an das vortreffliche Essen zu schwelgen.

So liegt er da, halb wachend, halb im Traum, und freut sich, wie gut es doch auf der Welt ist, wenn man eine Wirthschafterin hat, die gut kochen kann.

O, er denkt mit Schrecken an die Zeiten von früher. Alle vierzehn Tage hat er eine andere gehabt. Keine konnte kochen. Und in den Kneipen schmeckt es ihm längst nicht mehr.

Schreckliche Zeiten waren das gewesen. Nie ist er satt geworden, und noch ein paar Jahre so fort, — man hätte ihn auf den Kirchhof getragen. Und vor dem Kirchhof hatte der gute Onkel Erich eine unüberwindliche Abneigung.

Aber all' diese Sorgen waren jetzt lange von ihm genommen. Seit drei Jahren schon hatte er sein gutes Fräulein Amanda Fröhlich, und seit dem Tage, da sie ins Haus gekommen war, hatte der bislang so gequälte Onkel Erich keine kulinarischen Sorgen mehr. Er lebte wie in einem nimmer endenden schönen Traum. Jeder Tage brachte ihm neue Tafelfreuden und nie konnte Fräulein Amanda sich genug thun, ihre reiche Kunst zu zeigen.

Diese Gedanken gingen dem guten, satten Onkel Erich eben durch den Kopf, und schon war er nahe daran, sein gewohntes Schläfchen zu machen, als eben an die Thür geklopft wurde. Etwas unwillig rief er „Herein!”

Im nächsten Augenblick stand Fräulein Amanda in der Thür. „O, ich störe wohl, —” sprach sie zögernd.

„Aber durchaus nicht, liebes Fräulein!” Damit ging er ihr entgegen, führte sie ans Sopha und setzte sich ihr gegenüber. „Na, was haben Sie denn auf dem Herzen?” begann er lächelnd.

„Ja, ich komme heute mit einer — — —” sie zögerte wieder.

Erschreckt sah Onkel Erich sein Juwel an, — sie plante doch nichts gegen ihn, — das wäre ja fürchterlich.

„Na, kurz und gut,” fuhr sie endlich fort. „einmal muß es ja doch gesagt sein, Herr Wolf, — ich muß Ihnen sagen, daß ich Sie verlassen will.”

Onkel Erich saß da und starrte sie sprachlos an. Vor seinen Augen flimmerte es und vor seinen Ohren summten hundert Stimmen durcheinander, — sie will mich verlassen — die paar Worte nur waren haften geblieben.

„Es thut mir ja sehr leid, Herr Wolf, aber schließlich bin ich mir doch selbst am nächsten, und eine solche Partie kann man doch nicht alle Tage machen —” sie blinzelte ihn an und beobachtete die Wirkung ihrer Worte.

„Sie wollen heirathen, liebes Fräulein!?” starrte er sie an.

„Ja, Herr Wolf, ich möchte es mal versuchen,” sagte sie lächelnd.

Wortlos fiel der arme Onkel Erich zurück in seinen Stuhl. Noch immer konnte er's nicht glauben. Zu jählings traf ihn dieser Schlag. Er hörte nicht, wie sie ihm nun von der glänzenden Partie sprach, er war ganz in sein Unglück vertieft.

Und erst als er wieder allein war, fühlte er die ganze Wucht des Schlages, der ihn getroffen hatte. Schrecklich! Schrecklich! Nun sollte also wieder dasselbe Elend beginnen, an das er mit Grauen zurückdachte. Für immer sollte ihm dies Juwel einer Köchin verloren sein. Schrecklich! Schrecklich!

Aber da mit einmal kam ihm eine neue Idee. Wie, wenn er selbst diesem Freier zuvorkäme, wenn er selbst sein Juwel heimführte!? Dann konnte sie ihm doch Keiner mehr rauben. — Von diesem Gedanken kam er nun nicht mehr los. Und je länger er darüber nachdachte, desto mehr war er mit seiner Idee zufrieden. — Am dritten Tage sagte er es ihr.

Zuerst zierte sie sich sehr, that überrascht und auch verschämt zugleich und meinte, daß sie sich die Sache erst überlegen müsse, schließlich aber, da er nicht abließ mit Bitten und Drängen, sagte sie endlich kleinlaut „Ja”. Er war natürlich überglücklich und gab ihr gleich den Verlobungskuß. Und sie verrieth mit keiner Miene ihre Freude, daß sie ihr lang ersehntes Ziel nun endlich erreicht hatte.

*           *           *

Also sie war seine Frau geworden.

Die Hochzeit war ganz klein gewesen. Und dann hatte das junge Paar eine Reise gemacht.

Onkel Erich war noch immer überglücklich, daß Alles ein so gutes Ende gefunden hatte. Er freute sich seiner stillen und traulichen Häuslichkeit.

Aber als das erste Mittagessen daheim aufgetragen wurde, sah er seine Frau mit großen Augen an.

„Wie schmeckt denn das?”fragte er.

„Sonderlich gut nicht,” antwortete sie, „aber sie wird's schon noch lernen.”

„Wer wird es schon noch lernen?”

„Nun, die neue Köchin, die ich engagirt habe,” sagte sie selbstbewußt.

„Eine neue Köchin?” Er war starr. „Ja weshalb kochst Du denn nicht?” fragte er empört.

„Ich? Ich sollte kochen? Das verlangst Du von Deiner Frau?” Mit blitzenden Augen sah sie ihn an.

„Ja, weshalb habe ich Dich denn sonst geheirathet?”

Eine Pause entstand und drohende Blicke leuchteten von Einem zum Andern. Dann stand er auf vom Tisch und schloß sich grollend in sein Zimmer ein.

Das war der erste Zwist in der jungen Ehe. Und solche Szenen wiederholten sich nun täglich, denn die junge Frau war sehr energisch geworden, seit sie das Szepter führte. Sie erklärte ihrem grollenden Gatten gerade heraus, daß sie lange genug die Dienstmagd gespielt habe und nicht daran dächte, wieder sich an den Kochherd zu verbannen.

Nach drei Monaten hatte man bereits die neunte Köchin, und der gute Onkel Erich hatte zwanzig Pfund seiner Leibesfülle verloren.

So kann das nicht weitergehen, sagte er sich eines Tages, wenn ich schon mein altes gutes Essen nicht mehr bekommen soll, dann will ich wenigstens Ruhe haben; Ruhe aber habe ich nicht, so lange diese Amanda im Hause herrscht. Also sann er auf Abhülfe.

Endlich machte er seiner energischen Amanda den Vorschlag, daß man in Güte von einander ging. Er setzte ihr eine anständige Rente aus, von der sie gut leben konnte.

Anfangs war sie aufs Aeußerste empört darüber. Nie! niemals würde sie darauf eingehen! Schließlich aber, da sie einsah, daß auf die Dauer ein Zusammenleben nicht möglich war, willigte sie in die Trennung „auf gegenseitige Abneigung”. Als sie aber das Haus verließ, rief sie dem so arg getäuschten Erich als Abschied zu: „Sie werden noch von mir hören!”

Erich wollte es nicht hören, — habe gar keine Sehnsucht, dachte er, und freute sich, nun wenigstens wieder sein eigener Herr zu sein.

*           *           *

Ein halbes Jahr war vergangen, und noch immer hatte er Nichts gehört von seiner energischen Ehemaligen. Aber vergessen hatte er sie noch nicht, denn die Erinnerung an ihre leckeren Gerichte machte ihn stets weich.

Er hatte, um doch wieder ein wenig in Gesellschaft zu kommen, den Verkehr mit einer ihm bekannten Familie aufgenommen. Es war eine Beamtenwitwe mit einer Tochter von fünfundzwanzig Jahren. Sie waren erst vor zwei Monaten hierhergezogen und kannten das Abenteuer des Onkel Erich noch nicht. Die Mutter trug sich mit dem Gedanken, daß der Herr Erich Wolf ihrer Tochter wegen käme. Sie freute sich bereits auf die gute Partie.

Eines Sonntags war er zum Mittag da. Als er die Suppe gekostet hatte, wurde er aufmerksam, — das schmeckte ja ganz großartig. Und als nun erst Braten und Gemüse und Fisch und Salate kamen, und Alles in der Weise zubereitet war, wie er es gern aß, da war er voll des uneingeschränkten Lobes.

„Ja,” sagte stolz die Mutter, „das ist die beste Mitgift meiner Tochter.”

Die Tochter wurde roth und sah auf ihren Teller.

Und von diesem Augenblick an trug der arme Onkel Erich einen neuen Heirathsgedanken mit sich herum.

Von nun an kam er fast täglich, und immer nahm er eine jener vortrefflichen Mahlzeiten ein.

Nach einem Monat hielt er um die Hand der Tochter an und bekam das Jawort.

Er war wie verjüngt, als er zu dem Verlobungsmahl ging. Vor ihm lag die Welt im Sonnenschein, und eine endlose Reihe schmackhafter Gerichte spiegelte seine Phantasie ihm vor.

Eine große Gesellschaft war versammelt und bald war die Feststimmung da. Ein Toast folgte dem anderen und mancher gute Einfall wurde belacht und bejubelt.

Onkel Erich, an der Seite der glücklichen Braut, schwamm in Wonne. Endlich wieder war er zufrieden. Er athmete tief auf.

Da mit einmal wurde die Thür geöffnet und herein trat — Amanda die Energische, die den Baumkuchen angeschnitten hereinbrachte. Sie setzte den Kuchen vor dem jungen Paare hin und sah mit boshaftem Triumph auf Onkel Erich, der wie eine Bildsäule, starr und leblos, dasaß. Dann verschwand sie wieder geräuschlos.

„Es ist unsere Köchin,” flüsterte leise die Braut ihm zu.

Er nickte nur. O, er wußte genug. Vor seinen Augen begann sich Alles zu drehen. Beinahe wäre er zum zweiten Male auf den Leim gegangen. Der Boden unter den Füßen wurde ihm heiß. Nur erst hinaus, fort, fort, auf Nimmerwiedersehen!

Endlich konnte er sich verabschieden. Er schützte ein plötzliches Unwohlsein vor. Ganz wirr sprach er, so daß man ihn für angetrunken hielt. Aber ihm war Alles gleich, nur fort, nur nicht noch einmal in diese Situation kommen.

Und zu Hause fand er einen Brief vor von seiner ehemaligen Amanda. — Sie habe erfahren, daß er in dem Hause verkehrte, natürlich habe sie gleich gedacht, des Fräuleins wegen, und darum habe sie sich dort als Köchin vermiethet, O, sie würde Wort halten! Strafe muß sein! So würde sie es immer machen, sobald er wieder Heirathsideen bekäme. —

Der arme Onkel Erich ließ den Brief fallen. Also wie sein Schatten wollte sie ihn verfolgen, — — — entsetzlich war das ja! Beinahe weinte er vor Wuth.

Am nächsten Tag löste er die Verlobung auf und reiste ab. Kein Mensch wußte wohin.

Und seitdem treibt er sich in der Welt umher, bald sieht man ihn in London, bald in Paris und nun ist er gar übers große Wasser gegangen, und Alles das nur, weil er der Sklave seines Gaumens war.

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